Sachsen-Besucher verbinden mit einer der ältesten und facettenreichsten Kulturlandschaften Deutschlands in der Regel wohl nicht zuerst die überall im Land anzutreffenden Stätten einer vielseitigen und traditionsreichen Industriekultur. Unter dem Motto „Boom! 500 Jahre Industriekultur in Sachsen“ lädt das Land seine Gäste zu einer umso überraschenderen, erlebnisreichen Reise auf den Spuren der spannenden Industriegeschichte im Südosten Deutschlands ein.

Neben den atemberaubenden Entwicklungen im Maschinen- und Automobilbau sowie im Eisenbahnwesen (siehe Teil 1 zum Thema) warten auch der Erz- und Kohlebergbau sowie die Textilindustrie der Region mit faszinierenden Einblicken und einzigartigen Erlebnissen auf. Als Siedler im Jahr 1168 in der Nähe des heutigen Freiberg Silber fanden, war das nicht nur der Auftakt zu mehr als 800 Jahren Bergbaugeschichte, sondern auch der Grundstock für den Reichtum Sachsens und der Ursprung von technischen Innovationen und wirtschaftlichen Denkweisen, die es dem Land später ermöglichten, zur führenden Industrieregion in Deutschland aufzusteigen. Die Kunde vom Silberfund verbreitete sich rasant und lockte – mit markgräflicher Unterstützung – Berg- und Geschäftsleute, Handwerker und Glücksritter in die damals noch unwirtliche Gegend, die heute als „Erzgebirge“ bekannt ist. Dem ersten „Bergkgeschrey“ folgten Ende des 15. Jahrhunderts mit der Entdeckung noch reicherer Silbervorkommen sowie der späteren Förderung von Uranerzen zwei weitere Boomphasen des sächsischen Bergbaus.

Einzigartige Zeugnisse des Bergbaus vielerorts erhalten

Noch heute zeugen vielerorts im Erzgebirge Erlebnisbergwerke, Technische Denkmale und nicht zuletzt die Sprache und die lebendigen Traditionen der Einheimischen davon. Dabei kommt Freiberg als Schauplatz der Sonderausstellung „SilberBoom“ im Rahmen der 4. Sächsischen Landesausstellung eine besondere Rolle zu. Die Stadt avancierte dank der Silberfunde im hohen Mittelalter zur größten Stadt der Mark Meißen, dem späteren Sachsen, und der damalige Markgraf ging als „Otto der Reiche“ in die Geschichte ein. Sein Denkmal steht heute auf dem Obermarkt von Freiberg. Neben zahlreichen Berg- und Hüttenwerken entstanden eine kurfürstliche Münzstätte und die Bergakademie, die heute als Technische Universität weltweit einen hervorragenden Ruf genießt. Die noch teilweise von einer Stadtmauer umgebene malerische Altstadt mit dem an außerordentlichen Kunstschätzen reich gesegneten Dom St. Marien zeugt bis heute vom einstigen Reichtum Freibergs.

Im Silberbergwerk „Reiche Zeche“ in Freiberg können sich die Besucher bei verschiedenen Touren auf die Spuren des Silberabbaus begeben. ©Detlev Müller / TU Bergakademie Freiberg

Wer sich an diesem geschichtsträchtigen Ort auf die Spuren des Erzbergbaus begeben will, kann in der symbolträchtigen „Reichen Zeche150 Meter tief in den Berg eintauchen. Einst ein „Tor“ zur bedeutendsten Silberlagerstätte des Erzgebirges, ist die Zeche heute als Teil des Lehr- und Besucherbergwerkes “Himmelfahrt Fundgrube” der Bergakademie ein Ort, wo Forscher und Studenten aus aller Welt Schätze der Wissenschaft heben und Touristen die Arbeit der Bergleute hautnah nacherleben können. Bei verschiedenen Touren von ein bis fünf Stunden Dauer können die Besucher mit einem kundigen Führer auf insgesamt 14 km Länge die Bergwerksstollen erkunden. Mit dem Förderkorb geht es hinab zu den Bergwerksstollen, wo originale Bohrspuren vom einstigen Erzabbau künden. Authentische Geräusche wie das Klirren der Schlägel und Eisen sowie das Dröhnen der Bohrhämmer bis hin zum Rauschen und dem Knall eines simulierten Wassereinbruchs begleiten das Abenteuer unter Tage. An einer Scheidebank können sich die Besucher selbst beim Trennen von Erz und Gestein versuchen. Neben den Einblicken in das Gestern, Heute und Morgen des sächsischen Bergbaus unter Tage vermittelt im alten Fördermaschinenhaus die interaktive Ausstellung „Vom Salz des Lebens“ auf spannende Weise allerhand Wissenswertes aus der Welt der Rohstoffe.

Alte Bergbautraditionen werden bis heute auf vielfältige Weise gepflegt, so u. a. bei feierlichen Mettenschichten. ©Daniel Clarke / TMGS

Doch nicht nur Freiberg bietet Gelegenheit auf den Spuren des sächsischen Erzbergbaus zu wandeln. Die Silberstraße entlang alter Handels- und Transportwege folgt dem Weg von den Lagerstätten im Erzgebirge bis nach Dresden ins Grüne Gewölbe, der legendären Schatzkammer der sächsischen Herrscher. Sie verbindet einzigartige Sachzeugnisse des Montanwesens mit vom Bergbau geprägten Landschaften, alten Ortskernen mit Dorfkirchen und Bergstädten mit spätgotischen Hallenkirchen – einer baugeschichtlichen Besonderheit, die man so nur in Sachsen findet. Besonders lohnenswert ist eine Tour entlang der Silberstraße übrigens in der Vorweihnachtszeit, wo bei festlichen Bergparaden, gemütlichen Hutzenabenden und besinnlichen Mettenschichten lebendige Bergmannstraditionen erlebt werden können und auch die berühmte Weihnachtsdekoration der erzgebirgischen Volkskunst mit ihren vielfältigen Bezügen zum Bergbau allgegenwärtig ist.

Spannende Erlebnisse an authentischen Bergwerksorten

Einblicke in den mittelalterlichen Silberbergbau in einem 500 Jahre lang unberührten Revier ermöglicht das Besucherbergwerk „Im Gößner im Hof des Erzgebirgsmuseums von Annaberg-Buchholz, denn hier wurde nur von 1498 bis 1520 Silbererz gefördert. Mit einer Grubenbahn fahren die Besucher im Erlebnisbergwerk Markus-Röhling-Stolln im Annaberg-Buchholzer Stadtteil Frohnau etwa 600m in ein ausgedehntes Revier, in dem Mitte 18. bis Mitte 19. Jahrhundert Silber- und Kobalterze gefördert wurden und in dem ein rekonstruiertes, 9 Meter hohes Wasserkunstrad zu bewundern ist. Ein beeindruckendes Erlebnis bietet auch der berühmte Frohnauer Hammer, wenn bei Vorführungen die altertümliche Mechanik des weitgehend original erhaltenen Hammerwerks aus dem 17. Jahrhundert rhythmisch ihr Werk verrichtet.

Auf dem Gelände der ehemaligen Saigerhütte in Grünthal südlich von Olbernhau legt eine in Zentraleuropa beispiellose Anlage um ein noch fast vollständiges, teilweise ummauertes Hüttenwerk samt einem noch funktionsfähigen Hammerwerk mit gewaltigen Schwanzhämmern Zeugnis vom damaligen Bergbau ab und auch das Bergbaumuseum Altenberg mit einem in Europa einzigartigen hölzernen Pochwerk sowie das Besucherbergwerk „Vereinigt Zwitterfeld zu Zinnwald“ sind einen Besuch wert.

In der ehemaligen Tuchfabrik Gebr. Pfau in Crimmitschau lässt sich der gesamte historische Herstellungsprozess von der Anlieferung der Schafwolle bis zum fertigen Tuch erleben. ©Detlef Müller, Tuchfabrik Pfau Crimmitschau

Seinen atemberaubenden Aufstieg zu einer Pionierregion der Industrialisierung verdankt Sachsen maßgeblich auch den reichen Steinkohlevorkommen im Land. Wie das „Brot der Industrie“ bis Mitte des 19. Jahrhunderts zum wirtschaftlich-industriellen Fortschritt beitrug, veranschaulicht die Schauplatzausstellung „KohleBoom“ im Bergbaumuseum Oelsnitz/Erzgebirge. Als eines der größten deutschen Museen seiner Art nimmt es die Besucher an einem authentischen Ort, dem einst als modernster Steinkohlenschacht geltenden Kaiserin-Augusta-Schacht des Lugau-Oelsnitzer Reviers, mit auf eine Erlebnisreise durch die Welt der „schwarzen Diamanten“ Sachsens – von der Entstehung der Kohle über die Blütezeit der sächsischen Kohlenreviere bis zum heute noch andauernden Wandlungsprozess nach dem Ende der Förderung.

Ein Steinkohlenwald versetzt die Museumsbesucher zurück in die Zeit vor über 300 Millionen Jahren, als die Kohle entstand. ©Bergbaumuseum Oelsnitz/Erzgebirge, Foto Gregor Lorenz

So verdeutlicht ein multimedial inszenierter Gang durch einen „Steinkohlenwald“, wie vor über 300 Millionen Jahren riesige Bäume und Farne zu Steinkohle gepresst wurden. Im Anschauungsbergwerk rattert schweres Abbaugerät in dunklen Schächten und eindrucksvoll führt Sachsens größte funktionstüchtige Dampffördermaschine vor, wie die Kohle ans Tageslicht gebracht wurde. Ein interaktives Schachtmodell lädt Hobbybergmänner und -frauen multimedial ein selbst Kohle zu fördern. Auch manch Überraschendes begegnet den Besuchern, so wird z. B. das Rätsel gelöst, was es mit der Ananas im Bergwerk auf sich hat. Wie die Kohleförderung durchlebt auch das Museum selbst einen Wandel: Nach der Landesausstellung wird es bis Ende 2023 umfassend neugestaltet.

Bergbaukrisen befeuerten sächsischen Textilboom

Einen engen Bezug zum Bergbau hat auch eine weitere Vorzeigebranche Sachsens, die Textilindustrie. Immer wiederkehrende Krisen des unsteten Bergbaus ließen die Menschen vor allem im Erzgebirge und im Vogtland regelmäßig nach neuen Einkommensmöglichkeiten suchen. So rückte schließlich die Textilherstellung mehr und mehr in den Vordergrund und wurde wie zuvor in England zum Motor der Industrialisierung. Textilien aus Sachsen fanden u. a. über die Leipziger Messe den Weg auf die Weltmärkte. In der Leipziger Baumwollspinnerei produzierten Anfang des 20. Jahrhunderts bis zu 4000 Arbeiterinnen Baumwolle, heute ist das Areal mit seinen altehrwürdigen Backsteingebäuden im Westen der Stadt ein Hotspot der zeitgenössischen Kunstszene.

In Leipzig-Plagwitz künden auch die ehemaligen Fabrikgebäude der früheren Buntgarnwerke von der bedeutenden Rolle der Textilindustrie. ©Andreas Schmidt, leipzig.travel

In die Zeit des rasanten Aufschwungs der sächsischen Textilindustrie und ihrer nachfolgenden Entwicklungsphasen versetzt heute die Schauplatzausstellung „TextilBoom“ in der ehemaligen „Tuchfabrik Gebr. Pfau“ in Crimmitschau. 1859 als Handweberei gegründet, entwickelte sich die Fabrik in der aufstrebenden Textilstadt zu einer Volltuchfabrik, in der bis 1990 produziert wurde. Mit dem Zusammenbruch der DDR musste sie schließen, ihre wertvolle Industriearchitektur und der einzigartige, größtenteils aus den zwanziger Jahren stammende Maschinenpark wurden unter Denkmalschutz gestellt und blieben so originalgetreu erhalten. Den Museumsbesuchern erscheint es heute, als hätten die Mitarbeiter die Fabrik gerade erst verlassen. Beim Rundgang durch über 100 Jahre sächsische Textilgeschichte wird der gesamte Herstellungsprozess von der Wollflocke über das Spinnen, Weben und Walken bis zum fertigen Tuch und dem Verpacken der Stoffballen nacherlebbar. Und wenn dabei die alten Maschinen in den rußgeschwärzten historischen Produktionsräumen in Gang gesetzt werden, lassen das Rumpeln der Krempelmaschinen, das unaufhörliche Rattern im Spinnereisaal und das Klacken der mechanischen Webstühle hautnah auch den harten Arbeitsalltag seinerzeit erahnen.

In der ehemaligen Tuchfabrik Gebr. Pfau in Crimmitschau lässt sich der gesamte historische Herstellungsprozess von der Anlieferung der Schafwolle bis zum fertigen Tuch erleben. ©Detlef Müller, Tuchfabrik Pfau Crimmitschau

Einblicke in die Errungenschaften sächsischer Textilproduktion lassen sich auch andernorts im Land gewinnen. In Plauen informiert das Spitzenmuseum im historischen Rathaus der Stadt darüber, wie die filigrane „Plauener Spitze®“ ab Ende des 19. Jahrhunderts ihren weltweiten Siegeszug antrat und der Stadt Wohlstand bescherte. Interessierte Besucher können sich in der „Schaustickerei Plauener Spitze“ im authentischen Ambiente einen Überblick über die Raffinesse der künstlerischen Entwürfe und der Technologie verschaffen und auch selbst kreativ werden. Danach winkt ihnen das „Plauener Spitzen-Diplom“. In Limbach-Oberfrohna lohnt das auf die bekannte Strumpffabrikanten-Familie Esche zurückgehende Esche-Museum einen Besuch und das Stickereimuseum Eibenstock zeigt anschaulich jene Maschinen und Techniken, mit denen die weltberühmten Eibenstocker Stickereien gefertigt wurden. Im Deutschen Damast- und Frottiermuseum Großschönau in der Oberlausitz sind der einzige noch funktionstüchtige Damasthandzugwebstuhl sowie der letzte erhaltene Frottierhandwebstuhl in Deutschland zu bewundern und in der Historischen Schauweberei Braunsdorf im Zschopautal sowie im Museum Oederan können die Besucher in die Geschichte der Weberei von den einfachen Handwebstühlen der Frühzeit bis hin zu den Webautomaten des 20. Jahrhunderts eintauchen und wie in Oederan zum Teil auch selbst ausprobieren.

Route der Industriekultur“ vereint Zeugnisse von Weltruf
Insgesamt künden entlang der „Route der Industriekultur in Sachsen“ 51 Schauplätze aus unterschiedlichen Branchen von der einst wirtschaftlich stärksten Region Deutschlands, darunter weltweit renommierte Stätten wie die Staatliche Porzellan-Manufaktur Meißen, das Glasmuseum im einstigen europäischen Zentrum der Glasindustrie Weißwasser, das Uhrenmuseum Glashütte sowie die „Erlebniswelt Musikinstrumentenbau®“ mit traditionsreichen Handwerksstätten und drei Museen im vogtländischen Musikwinkel rund um Klingenthal und Markneukirchen.

Schauwerkstätten und informative Museen geben im Musikwinkel im Vogtland einen Einblick in den traditionsreichen Musikinstrumentenbau. ©Archiv Tourismusverband Vogtland, T. Peisker

Wer sich auf die Spuren dieser und anderer Zeugen der Industriekultur begeben möchte, der findet auf den Internetseiten der Tourismus Marketing Gesellschaft Sachsen mbH neben vielfältigen Anregungen für die individuelle Planung auch komplett geschnürte Reiseangebote.

Weitere Tipps zu Schauplätzen der Industriekultur in Sachsen finden Sie auch im ersten Teil.