Wenn mit der Adventszeit in deutschen Wohnstuben Schwibbögen, Weihnachtspyramiden, Räuchermännchen, Nussknacker, Bergmann- und Engelfiguren Einzug halten, dann steht zumeist das Erzgebirge dafür Pate. In der Mittelgebirgsregion entlang der sächsisch-böhmischen Grenze zählt die bis heute gepflegte kunsthandwerkliche Meisterschaft zu jenen Traditionen, die eng mit dem Bergbau im Erzgebirge verbunden sind und das soziale und kulturelle Leben der Menschen dort seit Jahrhunderten prägen. All dies ist Anfang Juli 2019 international geadelt worden, die „Montanregion Erzgebirge/Krušnohoří“ darf sich seitdem mit dem Titel „UNESCO-Welterbe“ schmücken.

Seit die Erzgebirger vor mehr als 800 Jahren entdeckten, dass ihr Boden reich an Rohstoffen ist, entstanden unzählige Stollen und Schächte, Hammerwerke und Schmelzhütten. Der folgenden Silbergräberstimmung – dem sogenannten Berggeschrey – folgten tausende Menschen, nach und nach entstand eine moderne Industrieregion. Der Bergbau gab den Takt an und prägte neben der Weihnachtstradition und der Handwerkskunst des Erzgebirges viele einzigartige Sitten und Gebräuche, die bis heute lebendig sind. Zeugnisse davon sind heute vor allem entlang der Sächsisch-Böhmischen Silberstraße zu erleben, u. a. in knapp 30 Besucherbergwerken. Mit seiner Entscheidung am 6. Juli hat das Welterbekomitee 22 ausgewählte bergbauliche Denkmale sowie Natur- und Kulturlandschaften (17 auf deutscher und 5 auf tschechischer Seite) anerkannt, die in ihrer Gesamtheit stellvertretend für viele weitere Sachzeugen die wichtigsten Bergbaugebiete und Epochen des sächsisch-böhmischen Erzbergbaus mit weltweiter Bedeutung repräsentieren. Die meisten sind touristisch erschlossen und längst nicht nur für Bergbau-Experten ein Tipp. Die Erlebnisregion Erzgebirge hält auch für einen Familienurlaub zahlreiche spannende Angebote bereit, und das keinesfalls nur zur Adventszeit.

Sowohl über als auch unter Tage gibt es in zahlreichen Schaubergwerken eine Menge zu entdecken. Im Foto Molchner Stolln Pobershau, © Tourismusverband Erzgebirge e.V., Rene Gaens

Mit der Grubenbahn durchs unterirdische Labyrinth

Eines der über Jahrhunderte vom Bergbau geprägten Zentren ist Annaberg-Buchholz mit dem Ortsteil Frohnau. Die Erlöse aus dem Abbau von Silbererzen seit Ende des 15. Jahrhunderts bescherten der Stadt sehenswerte sakrale und profane Bauwerke wie die Bergkirche St. Marien und die spätgotische Hallenkirche St. Annen, ebenso das Rathaus und prächtige Bürgerhäuser. Im Besucherbergwerk „Markus Röhling Stolln“ können die Gäste nach einer Fahrt mit der Grubenbahn unter Tage zahlreiche Zeugnisse aus der Zeit des Silber- und Kobaltbergbaus bestaunen, so auch ein neun Meter hohes hölzernes Wasserrad, das bei Führungen eindrucksvoll in Gang gesetzt wird. Eine weitere Attraktion ist das Technische Denkmal Frohnauer Hammer. In früher Zeit Getreidemühle und danach Münzstätte, erfolgte 1621 der Umbau zu einem Hammerwerk, mit dem kurzzeitig Silber, später Kupfer und schließlich Eisen geschmiedet wurde. Bei Führungen wird der kleinste der drei Schwanzhämmer samt Blasebalg in Betrieb genommen und so Einblick in die Kunst des Werkzeugschmiedens gewährt. Einen Besuch lohnt auch die St. Annenkirche, die gerade erst ihre 500-jährige Kirchweihe feierte und auch Führungen für Kinder anbietet. Sie beherbergt mit dem 1521 von Hans Hesse geschaffenen Bergaltar die erste, umfangreichste und berühmteste Darstellung des Silberbergbaus in Sachsen.

In der Montanlandschaft Annaberg können die Besucher das Technische Denkmal Frohnauer Hammer in Aktion erleben. © Michael Bader

Wie die Menschen bereits im Hochmittelalter untertägigen Bergbau betrieben, davon zeugt auch die archäologische Stätte der Silberbergwerke in und um Dippoldiswalde. Die bislang erforschten fast vollständig erhaltenen Schächte aus dem 12./13. Jahrhundert erlauben eine Rekonstruktion des Bergbaubetriebes und sind von herausragender Bedeutung für die frühe Geschichte des Montanwesens im Erzgebirge und in ganz Europa. Im 2018 eröffneten Museum für mittelalterlichen Bergbau (MiBERZ) im Schloss Dippoldiswalde können die Besucher zahlreiche einzigartige Funde der Grabungen besichtigen. Zudem veranschaulichen verschiedene Medienstationen, ein Bergwerkmodell sowie Audio- und Videostationen die unterirdischen Montanwelten.

Besuch am Ursprung sächsischer Bergbau-Erfindungen

Einblicke in die Gewinnung, Aufbereitung und Verarbeitung großer Mengen Zinnerze über einen Zeitraum von 600 Jahren vermittelt das östlichste der erzgebirgischen Bergreviere – die Montanlandschaft Altenberg-Zinnwald. Für die Zerkleinerung der Erze wurde im 16. Jahrhundert das Verfahren des Nasspochens im Erzgebirge entwickelt, das später weltweite Verbreitung fand. In der erst 1952 stillgelegten, zu einer technischen Schauanlage umgestalteten historischen Wäsche IV im Bergbaumuseum Altenberg können die Besucher heute diese Technologie anschaulich nachvollziehen. Auf der Freifläche zeigt das Museum zudem weitere Bergbautechnik der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts. Im ehemaligen Grubenfeld des Zinnwalder Bergbaus ermöglicht das heutige Besucherbergwerk eine Stippvisite an der deutsch-tschechischen Grenze unter Tage. Zudem lädt ein 40 km langer grenzüberschreitender Bergbaulehrpfad zu einer Entdeckungsreise auf den Spuren des einstigen Bergbaus in der Grenzregion Altenberg-Geising-Zinnwald-Krupka ein.

Bis einhundert Meter hinab in die Tiefe geht es im zum Bergbaugebiet Marienberg gehörenden Besucherbergwerk Zinngrube Ehrenfriedersdorf. Hier wurde um 1540 als Teil eines Wasserpumpsystems die „Ehrenfriedersdorfer Radpumpe“ erfunden. Diese Technik prägte den Bergbau weltweit bis ins 19. Jahrhundert. Während der Erlebnisführungen werden die Erkundung, Gewinnung und Förderung von Zinnerzen erläutert, historische Bergbaugeräte demonstriert und die Arbeitsbedingungen der Bergleute erlebbar gemacht. Höhepunkt ist eine Fahrt mit der Grubenbahn. Darüber hinaus finden im besonderen Klima unter Tage Patienten mit Erkrankungen der oberen Atemwege im Asthma-Heilstollen Linderung.

Auf Entdeckungsfahrt in der Zinngrube Ehrenfriedersdorf, © WFE GmbH

Das historische Stadtbild von Marienberg belegt eindrucksvoll, wie damals in unmittelbarer Nachbarschaft zu reichhaltigen Erzvorkommen auf freiem, noch unbebautem Land planmäßig eine Bergstadt entstand. Infolge des Silberbergbaus im 16. Jahrhundert wurde in Marienberg erstmals nördlich der Alpen eine Stadt nach dem Vorbild der Renaissance geplant. Eine Besonderheit ist auch das Marienberger Bergmagazin. Es diente nach seiner Fertigstellung 1809 der Versorgung der Bergleute und ihrer Familien vor allem mit Lebensmitteln und ist als einziges Bergmagazin im Erzgebirge weitestgehend im ursprünglichen Zustand erhalten. Heute befindet sich dort ein deutsch-tschechisches Kulturzentrum.

Auf „Schatzsuche“ im historischen Freiberg

Bei einem Besuch der Region empfiehlt sich auch ein Abstecher in das 1168 als erste Bergstadt im Erzgebirge gegründete Freiberg. Dank der ersten Silbererzfunde im gleichen Jahr nahm die Stadt eine rasante Entwicklung. Ihr Antlitz prägen heute zahlreiche montanhistorisch bedeutende Bauwerke wie das Oberbergamt oder die 1765 gegründete Bergakademie als älteste noch bestehende Montanhochschule der Welt. Hier wurden im 19. Jahrhundert die Elemente Indium und Germanium entdeckt. Der Domherrenhof, eines der ältesten bürgerlichen Museen Sachsens, beherbergt hochkarätige Sammlungen mit Meisterwerken bergbaulicher Kunst sowie spätgotischer Sakralkunst Obersachsens. Zu den Highlights zählen u.a. Gemälde von Lucas Cranach d.J., der älteste Schwibbogen der Welt, einmalige Goldschmiedekunst und die ältesten Bergbauschnitzereien Sachsens. Der Dom St. Marien wiederum ist mit seinen beiden Silbermannorgeln berühmt für erstklassige Orgelkonzerte, so z. B. zu den Silbermann-Tagen, die in diesem Jahr vom 4. bis 15. September wieder Orgel- und Musikfreunde aus aller Welt in die Region locken. Ein besonderes Erlebnis verspricht am 14. September zudem ein großer Bergmännischer Zapfenstreich, bei dem auch die Urkunde zum UNESCO-Welterbetitel feierlich übergeben wird.

Freiberg wird wie das Bergbaumuseum Oelsnitz mit spannenden Angeboten auch Schauplatz der 4. Sächsischen Landesausstellung vom 25. April bis 1. November 2020 sein. Ebenso bieten die alljährlich am ersten Juniwochenende stattfindenden Bergbau Erlebnistage in der ganzen Region zahlreiche Gelegenheiten zu allerlei Entdeckungen auf den Spuren der Bergbaugeschichte. Ein Publikumsmagnet sind darüber hinaus nicht nur zur Weihnachtszeit die Bergparaden und Mettenschichten, bei denen unter feierlichen Klängen die Bergmänner in ihren prächtigen historischen Trachten nacherleben lassen, welch wertvolle Arbeit sie einst verrichteten.
Weitere Infos: www.montanregion-erzgebirge.de , www.erzgebirge-tourismus.de

Zu den auch heute noch gepflegten Traditionen im Erzgebirge gehören die zahlreichen Bergparaden wie hier in Jöhstadt. © Tourismusverband Erzgebirge e.V., Bernd März